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Friedensfilmpreis Osnabrück 2024 – Filme und Jury
2020 dreht die Schauspielerin und Regisseurin Mounia Akl in Beirut ihren ersten Kinolangfilm, als die Stadt zu beben beginnt. Ein illegales Lager mit 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat ist explodiert, hat Teile der Stadt verwüstet, über 200 Menschen getötet, tausende schwer verletzt, darunter der Kameramann der Crew. Dem Filmteam stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll. Mit der aufkommenden Covid-Pandemie entstehen weitere Probleme.
Cyril Aris hat als Schauspieler mit Mounia Akls vor der Kamera gestanden, gemeinsam haben sie Drehbücher geschrieben. Er dokumentierte die Arbeit an ihrem Film, ein Blick hinter die Kulissen, die zu einer Katastrophenchronik werden sollte. Aris überschrieb seinen Film „Dancing on the Edge of a Volcano“ – Tanz auf dem Vulkan. Ein Titel von bestürzender Aktualität – gerade in diesen Tagen gibt es wieder Explosionen in Beirut und anderen libanesischen Städten. Dieses Mal verursacht von Sprengkörpern und Bomben.
„Dancing on the Edge of a Volcano“ ist einer von neun Filmen im diesjährigen Wettbewerb um den Friedensfilmpreis Osnabrück, eine zentrale Kategorie im Programm des 39. Filmfests Osnabrück mit Beiträgen unter anderem aus Madagaskar, Russland, Kenia, Indien, Ukraine. Filme, die eine Teilhabe am Weltgeschehen ermöglichen, die über knappe Nachrichtenbeiträge hinausgeht. Sofern überhaupt berichtet wird. Denn es verdient Aufmerksamkeit, wie die Kenianerin Evelyn Kimathi nach den Überresten ihres Vaters sucht, der unter der britischen Kolonialherrschaft ermordet und an unbekanntem Ort begraben wurde. „Our Land, Our Freedom“ vom Regieteam Zippy Kimundu und Meena Nanji erzählt ihre Geschichte.
In Madagaskar sind Edelsteinschürfer brutaler Gewalt und Korruption ausgesetzt, das Thema von Luck Razanajaonas „Disco Africa: A Malagasy Story“. Lebensbedrohliche staatliche Willkür zwingt viele Menschen zum Verlassen ihres Heimatlands. In „Forest“ beobachten Asia und Marek und ihre drei Kinder ausgezehrte Gestalten, die nachts von Belarus kommend durch die polnischen Wälder irren. Die Flüchtlinge leiden Not. Doch Hilfeleistung ist behördlich verboten.
Toma Selivanova wählt das Motiv des Films-im-Film, wenn sie in „Dolomite and Ash“ eine Filmemacherin und einen Tonkünstler in Sibirien nach Spuren der als Gulag – kurz für „Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und -kolonien“ – bekannten Straf- und Todeslager suchen lässt, deren Existenz in der russischen Geschichtsschreibung unterschlagen wird.
Heutige Propagandalügen der russischen Führung, erschreckende Bekenntnisse russischer Soldaten und die Kriegsfolgen in der Ukraine arbeitet Oksana Karpovych in „Intercepted“ auf. Die internationale Koproduktion „All We Imagine as Light“ ist eine Erzählung über zwei junge Frauen, die in Mumbai um ihre Zukunft ringen.
In einer berührenden Mischung aus Filmdokumenten, Zeitzeugengesprächen und tänzerischer Umsetzung erinnert Enrique Sánchez Lansch in „Pol Pot Dancing“ an die Gräueltaten des kommunistischen Pol-Pot-Regimes, dessen Verbrechen sich unter anderem gegen Intellektuelle, Kunstschaffende und gegen kambodschanische Tanztraditionen richteten.
In Andreas Dresens „In Liebe, Eure Hilde“ verkörpert Liv Lisa Fries mit der jungen Hilde Coppi eine historische Figur, die mit Gleichgesinnten im Jahr 1942 couragiert gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft opponierte. Ihr in der Haft geborener Sohn Hans Coppi ist der Ehrenvorsitzender der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.
Der Friedensfilmpreis wird von einer unabhängigen Jury vergeben. In diesem Jahr wurden Katharina Franck, Programmleiterin der Cinematheque Leipzig, die Regisseurin Sarvnaz Alambeigi und der Editor Lautaro Colace in das Gremium berufen. Alambeigi und Colace sind mit Beispielen ihres filmischen Schaffens im Programm vertreten. Alambeigis „Maydegol“ wird in der Sektion Kinderrechte zu sehen sein. Lautaro Colace war gemeinsam mit Ricardo Saraiva für den Schnitt von Carolina Markowicz’ „Pedágio/Toll“ verantwortlich, einem Beitrag der Festivalsparte „Vistas Latinas“.
Die Dieter Fuchs Stiftung als neuer Festivalpartner stattet den Friedensfilmpreis Osnabrück mit einer Gewinnsumme in Höhe von 15.000 Euro aus.