Im Einsatz gegen das Unrecht
Premieren und preisgekrönte Produktionen aus Lateinamerika beim 38. Filmfest Osnabrück
Seit Luz Marina Bernal Parra immer wieder Todesdrohungen erhält, lebt sie getrennt von Mann und Tochter. Die Kolumbianerin gehört zu den „Müttern von Soacha“, die unnachgiebig die Verbrechen des Militärs und der Regierung anprangern und Frieden fordern. Parras behinderter Sohn Frai wurde wie viele andere junge Männer aus den Armenvierteln von Soldaten mit dem Versprechen auf einen Job gelockt und ermordet. Man zog den Toten Kampfkleidung an, drückte ihnen Waffen in die Hand und gab sie als Guerilleros aus, denn die Regierung unter Álvaro Uribe hatte Kopfprämien ausgesetzt. Erste Gerichtsverfahren hat es gegeben, aber noch sind nicht alle Schuldigen benannt und bestraft worden.
Der deutsche Journalist, Fotograf und Filmemacher Jonas Brander berichtet seit Jahren über das von Bürgerkriegen und Staatswillkür geplagte Kolumbien. Mit „Until the Sun Dies“ legt er seinen ersten abendfüllenden Dokumentarfilm vor, der im Rahmen des Filmfests Osnabrück als Deutschlandpremiere gezeigt wird. Sechs Jahre lang begleitete Brander Luz Marina Bernal Parra, die 2016 mit den „Müttern von Soacha“ für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, und den Aktivisten Albeiro Camayo, der mit der unbewaffneten „Indigenen Garde“ das Stammesgebiet der Nasa gegen Guerilleros, Drogenschmuggler, Armee, Landraub, illegalen Bergbau zu schützen sucht. Ein lebensgefährliches Engagement, wie sich im Verlauf des Films zeigt.
„Until the Sun Dies“ ist einer von vier Filmen in der Sektion „Vistas Latinas“, eine Ausnahmeerscheinung in der niedersächsischen Festivallandschaft. Mit der mexikanisch-amerikanischen Koproduktion „Sansón and Me“ wird eine weitere Deutschlandpremiere gezeigt. Rodrigo Reyes ist zwischen Mexiko und den USA aufgewachsen, Identitätssuche, Grenzgängertum, kulturelle und wirtschaftliche Kontraste sind Themen seiner Filme, die auf Festivals gezeigt werden und mit Preisen gewürdigt worden. Zu Beginn seiner Karriere arbeitete Reyes als Dolmetscher im kalifornischen Merced Superior Court. Hilflos musste er mitansehen, wie der 19-jährige Sansón Noe Andrade, der aus dem mexikanischen Tecomán stammte, mangels Kenntnissen des Rechtssystems, mittellos und ohne kompetenten Anwalt wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Reyes beschloss, Sansóns Geschichte zu erzählen. Weil Sansón in Haft saß, ersann Reyes eine eigenwillige Form: Mitglieder von Sansóns Familie spielten die Vorgeschichte des Prozesses nach. Die Produktion erstreckte sich über zehn Jahre, eine Herausforderung für alle Beteiligten, wie der Regisseur im Gespräch mit dem „Filmmaker Magazine“ berichtet: „Die Dreharbeiten zu ‚Sansón und ich‘ waren auf jeden Fall schmerzhaft – für die Familie, für mich und vor allem für Sansón selbst. Dennoch wurde der Film von allen Beteiligten mit Überzeugung und in aktiver Zusammenarbeit erstellt.“
Der chilenisch-argentinische Spielfilm „The Punishment“ ermöglicht ein Wiedersehen mit der Schauspielerin Antonia Zegers. Sie war 2017 mit „Los Perros“ im Programm des Filmfests Osnabrück und wurde zwischenzeitlich mit der gesellschaftskritischen Fernsehserie „Die Meute“ („La Jauría“) international bekannt. Unter anderem für „Los Perros“ und „The Punishment“ wurde Zegers mit renommierten Filmpreisen ausgezeichnet. „The Punishment“ bedeutete für sie und ihren Filmpartner Néstor Cantillana Dreharbeiten abseits der Routine: Das spannende Drama wurde ohne Unterbrechung, in einer sorgfältig choreografierten Plansequenz aufgenommen. Zegers und Cantillana spielen die Eltern eines verhaltensauffälligen Kindes. Zwecks Bestrafung setzen sie ihn in einem Waldgebiet aus, fahren ein paar Meter weiter, kehren dann zurück. Doch der Junge ist verschwunden …
Die internationale Koproduktion „Power Alley“ ist ein Sport- und Jugenddrama mit der 17-jährigen Volleyball-Begabung Sofia als Hauptfigur. Sie stammt aus einfachen Verhältnissen, ein Sportstipendium könnte ihr helfen, die Armut hinter sich zu lassen. Dann unterläuft ihr ein Missgeschick. Sie wird ungewollt schwanger. Sie würde abtreiben, doch in Brasilien ist das streng verboten. Sie sucht eine Beratungsstelle auf, nicht wissend, dass sich dahinter militante Abtreibungsgegner verbergen. Die missachten die ärztliche Schweigepflicht und beginnen, Sofia und ihren Vater zu drangsalieren. Derweil wächst der Zusammenhalt in ihrem Team.
Die Regisseurin und Koautorin Lillah Halla war mit „Power Alley“ beim jüngsten Cannes Filmfestival für mehrere Preise nominiert.
Das 38. Filmfest Osnabrück findet statt vom 11.– 15. Oktober 2023 in den Aufführungsorten Filmtheater Hasetor, Haus der Jugend, Lagerhalle und im Cinema-Arthouse. Programm, Informationen, Tickets unter www.filmfest-osnabrueck.de.
Akkreditierungen sind ab sofort möglich.