Vistas Latinas & Filmfest Extrem 2020
Genrekino und lateinamerikanisches Filmschaffen
Zum besonderen Profil des Unabhängigen FilmFest Osnabrück gehören neben den vier Wettbewerbssektionen und Angeboten für Kinder und Jugendliche die Programmsparten „Vistas Latinas“ und „FilmFest Extrem“. „Vistas Latinas“ richtet die Lupe auf das international geschätzte Filmschaffen der lateinamerikanischen Länder, in diesem Jahr vertreten durch Brasilien, Mexiko, Argentinien und Peru.
Auch das Auswahlgremium der Sparte „FilmFest Extrem“ wurde in Argentinien fündig. Ferner entschied es sich für Filme aus Kanada und der Türkei, allesamt nach Inhalt und Ästhetik außergewöhnliche Spielfilme, die, alle sehenswert und auf hohem Niveau produziert, dennoch auf dem deutschen Filmmarkt nur geringe Chancen haben dürften.
Magie, Kindesraub und melancholische Erinnerungen
Der brasilianisch-französische Beitrag „A febre“ folgt der erzählerischen Tradition des magischen Realismus. Justino, ein Wachmann indigener Herkunft, muss erfahren, dass seine Tochter das gemeinsame Haus verlassen und nach Brasilia ziehen wird. Steht sein aufkommendes Fieber mit dieser Nachricht in Zusammenhang? Im täglichen Geschehen verwischen sich Realität und Wahnbilder, unspektakulär, unergründlich. Zugleich scheint sich seine Wahrnehmung rassistischer Äußerungen zu schärfen.
Der albtraumhafte Verlust ihres Kindes erwartet Georgina, die Protagonistin des Spielfilms „Canción sin nombre“. Eine Geburtsklinik verspricht der Schwangeren eine kostenlose Entbindung. Doch das Neugeborene wird ihr entwendet, man setzt sie auf die Straße. Die Polizei weist sie ab, nur ein Journalist unterstützt die verzweifelnde junge Mutter. Die peruanisch-US-amerikanische Koproduktion gewann beim letztjährigen Filmfest München den Preis für den besten Nachwuchsfilm.
Semibiografisch ist Samuel Kishi Leopos Spielfilm „Los lobos“, was ihn umso ergreifender macht. Leopo kam mit seiner alleinerziehenden Mutter und seinem Bruder Kenji, heute ein gefragter Filmkomponist, aus Mexiko in die USA. So auch die beiden Brüder im Film. Während ihre Mutter mehreren Jobs nachgeht, vertreiben sich die Jungs in ihrer schäbigen Bleibe die Zeit mit fantasievollen Spielen. Als sie trotz mütterlichen Verbots das Zuhause verlassen, zeichnet sich ein Drama ab. „Los lobos“ gewann auf der 70. Berlinale den Friedensfilmpreis und ist beim Unabhängigen FilmFest Osnabrück für den Filmpreis für Kinderrechte nominiert.
Der vierte Film der Vistas Latinas ist „Un crimen común“. Als Kevin, der Sohn von Cecilias Haushaltshilfe, mitten in der Nacht an ihre Tür klopft, entscheidet Sie aus Angst, die Tür nicht zu öffnen. Am nächsten Tag liegt Kevins Leiche in einem Fluss. Und Cecilias Welt gerät aus den Fugen.
Ehrenmord, Untote und Politkarrieren
Mit der Sektion „FilmFest Extrem“ ist das Unabhängige FilmFest auch in diesem Jahr in der Filmpassage zu Gast. Ayse, die Protagonistin des Thrillers „AV – The Hunt“, ist eine selbstbewusste junge Türkin, die vor der frustrierenden Ehe in eine Affäre flüchtet. Doch dann steht ihr Mann vor der Tür, und er ist ausgerechnet Polizist. Ayse droht der „Ehrenmord“, ihre Verwandten machen Jagd auf sie. Aber Ayse ist kein wehrloses Opfer …
Sanfter, dabei tief unter die Haut gehender Grusel prägt den argentinischen Horrorfilm „The Returned“, in dem sich die einheimischen Götter auf der Seite der ausgebeuteten indigenen Arbeiter gegen die brutalen kolonialistischen Plantagenbesitzer zu wenden scheinen.
Der letzte und wohl ausgefallenste Film der Sektion ist „The Twentieth Century“. Darin spielt Dan Beirne, bekannt unter anderem aus den Serien „Fargo“ und „A Handmaid’s Tale“, den kanadischen Politiker Mackenzie King. Er muss eine Reihe sonderbarer Herausforderungen meistern, um seinen Traum von einer politischen Karriere zu verwirklichen. Angetrieben wird er dabei von seiner Mutter, die von einem Mann gespielt wird. Ein Film voller bizarrer Einfälle, tollkühner Volten und erstaunlichen Szenenbildern mit ausgestopften Papageien und ejakulierenden Kakteen. Ausgezeichnet und gelobt auf diversen Filmfestivals.
Begrenztes Streaming-Angebot
Sechs der sieben Filme werden während des Festivals auch über das Streaming-Angebot ffos+ zur Verfügung stehen. Pro Film stehen 200 Tickets zur Verfügung. Weitere Informationen enthalten der an vielen Verteilstellen ausliegende kostenlose Festivalkatalog und die Homepage www.filmfest-osnabrueck.de
Das Team um Festivalleiterin Julia Scheck freut sich auf fünf Tage mit gesellschaftlich interessierten und engagierten Filmen und auf die Begegnungen und Gespräche mit Filmschaffenden und Zuschauer:innen.