Ein Film über Juden. Woran denken Sie? An Koffer, Schuhe, Gleise? Oder gleich an rauchende Schornsteine?
„Kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion schlüpfte ich auf dem Gebiet des heutigen Moldawiens auf die Welt. Im Zuge der jüdischen Migration kam ich als Kleinkind mit meinen Eltern nach Deutschland. Wir waren Kontingentflüchtlinge und man packte uns in ein Flüchtlingsheim im Ruhrgebiet. Oberhausen – wunderschön! Ich wuchs auf: Grundschule, Synagoge, jüdische Jugendbewegung, deutsche Freunde, türkische Freunde, Bar-Mizwa, arabische Freunde, Abitur, Auslandsjahr in Israel, erste Freundin. Alles ganz normal. Ich fing an Filme zu machen. Erst peinlich, dann besser. An der Filmhochschule wird uns beigebracht Figuren aus unserer Lebensrealität zu zeichnen und uns bekannte Geschichten zu erzählen. Also mache ich jetzt diesen Film. Nicht weil ich mich den Dozent*innnen beugen möchte, sondern weil ich mich den Beobachtungen eines Juden in Deutschland nicht entziehen kann.
Ein Film über Juden.
Woran denken Sie? An Koffer, Schuhe, Gleise? Oder gleich an rauchende Schornsteine?
Diese Assoziationen, man nennt sie auch die Ikonen des Holocausts, sind beinahe unvermeidlich. Sie sind Teil unseres kollektiven Gedächtnisses geworden. Ein Gedächtnis kultiviert durch Filme wie Schindlers Liste und die Serie Holocaust, an die sich manch einer vielleicht noch erinnert. Womöglich auch durch Claude Lanzmanns Shoah oder Celans Todesfuge. Diese Bilder sind wichtig, gerechtfertigt und immer wieder traurig und erschütternd. Ich habe nichts gegen sie. Was mich stört ist die un-vermeidliche und ungefilterte Verbindung von ihnen mit Jüdinnen und Juden.
Lassen Sie mich das genauer erklären:
Als Jude in Deutschland ist es kaum möglich dem Holocaust zu entkommen. (Achtung: Doppelter Sinn und Zynismus)
Die genannten Bilder ploppen unweigerlich in den Köpfen von Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, Kollegen, Lehrerinnen und Beamten auf, sobald eine jüdische Herkunft zur Sprache kommt. So eine Situation wird dann ganz schnell unangenehm für alle Beteiligten – wegen der Erinnerung auf der einen und dem deutschen Talent zum ungelenken Verhalten in dieser Hinsicht auf der anderen Seite – und das trotz der besten Absichten! Solche Begegnungen finden nun seit über siebzig Jahren in Deutschland statt. Das sind viele Jahre und mehrere Generationen und um dem beizukommen braucht es wohl einiges.
Wir möchten den Versuch einer Bestandaufnahme starten – mit einem Masel-Tov Cocktail.“
Arkadij Khaet