Hanau ist überall – Filme zu den Glänzenden Aktionstagen

Am 8. Mai erinnern wir in der Bundesrepublik an die Befreiung vom Faschismus vor 75 Jahren. Doch mitnichten bedeutet dieses Datum das Ende von rechter oder rassistisch motivierter Gewalt an Migrant*innen, Asylbewerber*innen, an Schwarzen Menschen und People of Color, an Jüd*innen, an behinderten Menschen, Obdachlosen, Frauen, und anderen Opfergruppen in Deutschland nach 1945.

 

In Vorbereitung auf die Glänzenden Aktionstage der VIELEN und in Solidarität mit migrantischen Selbstorganisationen, Initiativen, Vereinen und mit antirassistischen Bündnissen haben wir in das Archiv des Unabhängiges FilmFest Osnabrück geblickt und einige Festivalbeiträge herausgesucht, die uns stark in Erinnerung geblieben sind und uns bewegt haben.

 

Die Filme geben Menschen eine Stimme, denen – die sogenannte deutsche Mehrheitsgesellschaft – nicht aufmerksam genug zuhört. Hier eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

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Der Zweite Anschlag

(Deutschland 2018)
Regie & Buch Mala Reinhardt | Kamera Patrick Lohse, Katharina Degen | Schnitt Federico Neri | Musik Macarena Solervicens | Mit Mai Phương Kollath, Ibrahim Arslan, Osman Tasköprü | Produktion PRSPCTV Productions | Distribution BcProduction

„Der zweite Anschlag“ thematisiert die Kontinuität rassistisch motivierter Gewalt in Deutschland mit Hilfe dokumentarischer Zeitzeugen-Interviews und gibt den sonst selten gehörten Opfern eine Stimme. Gesprächspartner sind unter anderem Osman Tasköprü, dessen Bruder vom NSU in Hamburg ermordet wurde, sowie Ibrahim Arslan, der den Brandanschlag auf sein Zuhause in Mölln überlebte. Mai Phương Kollath war Augenzeugin der Anschläge auf das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen. Sie haben verstörende Erfahrungen hinter sich und suchen bis heute nach Wegen, ihr Trauma zu verarbeiten und mit dem Versagen politischer Instanzen umzugehen. In dem ohne Fördermittel realisierten Film kommen weitere Menschen zu Wort, die ebenfalls alltäglich Rassismus in Deutschland erleben und mutig dagegen angehen.

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Comments

(Deutschland 2017)
Regie Jannis Alexander Kiefer | Kamera Adam Graf | Schnitt Kathrin Unger | Ton Clemens Ruh | Darstellende Kevin Patzke, Gabriele Blum, Jalal Mando u. a. | Produktion Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf

Wie sähe es aus, wenn die in rassistischen Youtube-Kommentaren enthaltenen Gewaltfantasien in die Tat umgesetzt würden? Dieser Film zeigt es. Die einfache Bildsprache sowie der Verzicht auf Musik lassen die Konzentration auf die bloße Aussage zu – roh und verstörend.

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Ödland – Damit keiner das so bemerkt

(Deutschland 2013)
Regie Anne Kodura | Kamera & Schnitt Friede Clausz | Mit Aya El Noumeiri, Muhammed Ali, Mustafa Ali, Isra El Noumeiri, Amin El Noumeiri, Semir Ziebo, Sami Ziebo, Schiyar Ziebo |Produktion & Distribution DIE ZONE Filmproduktion

In atemberaubend schönen Schwarzweiß-Bildern berichtet dieser berührende Dokumentarfilm von Kindern, die mitten in Deutschland ihre Sommerferien in einem Asylbewerberheim verbringen: Aya, Muhammad und Mustafa haben Sommerferien. Ihre Familien sind vor vielen Jahren aus Kriegsgebieten geflüchtet und leben seitdem in einem Asylheim auf dem Gelände einer alten Kaserne, weit ab von allem, mitten in Deutschland. Um sich zu beschäftigen und Geld für Silvesterknaller zu verdienen, sammeln die Kinder Kupferschrott. Viel gibt es auch nicht zu tun an diesem Ort mit Feldern, Schafen und einem Bus, der nur dreimal am Tag vorbeifährt. In Originalkommentaren der Eltern beschreiben diese ihr früheres Leben in Ländern, in denen Krieg herrschte, und ihre jetzige Existenz in der Abgeschiedenheit. Bewusst verzichten die Filmemacher auf eine Schilderung der Hintergründe, um somit das Lebensgefühl der Kinder mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Die Regisseurin und Produzentin des Films Anne Kodura wurde 1987 in Halle an der Saale geboren und absolvierte ein Medienkunststudium an der Akademie der Bildenden Künste in München. „Ödland“ ist ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm.

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Werden Sie Deutscher

(Deutschland 2011)
Regie Britt Beyer | Buch Britt Beyer | Kamera Marcus Lenz | Schnitt Karen Lönneker, Andreas Wondraschke | Musik Bernd Jestram | Produktion und Distribution Oktoberfilm

Witzig kluger Dokumentarfilm über die Teilnahmenden eines Berliner Integrationskurses und die Frage nach deutscher Identität: Shipon aus Bangladesh, Insaf aus Palästina und Jorge aus Argentinien – was die drei gemeinsam haben? Sie nehmen in Berlin an einem Integrationskurs teil, der ihnen in 600 Schulstunden Geschichte, Kultur und Rechtsordnung vermitteln soll. Aber kann man Integration überhaupt erlernen? Und was ist eigentlich deutsche Kultur – und wer definiert das? Die Regisseurin Britt Beyer hat die Kursteilnehmenden über ein halbes Jahr begleitet – im Klassenraum und in ihrem Alltag. Entstanden ist ein humorvoller, kluger und nachdenklich stimmender Dokumentarfilm, der die komplexe Realität verdeutlicht, die hinter dem Schlagwort >Integration< steckt. Britt Beyer, geboren 1968, studierte Germanistik und Geschichte in Leipzig. Ihr Dokumentarfilm >Der junge Herr Bürgermeister< wurde 2003 mit dem Hans-Klein-Medienpreis ausgezeichnet und für den First Steps Award nominiert. Beyer lebt und arbeitet als Autorin und Regisseurin in Berlin.

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Stolperstein

(Deutschland/Österreich 2007)
Regie & Buch Dörte Franke, Kamera Börres Weiffenbach, Schnitt Jana Teuchter, Ton Mario Köhler, Musik Andreas & Matthias Hornschuh, Distribution Film Kino Text

Der Film ist sowohl Künstlerportrait als auch Roadmovie und zugleich die Geschichte des größten, dezentralen Denkmals der Welt. Im Zentrum steht Gunter Demnig, der mittlerweile über 12.000 (Anm. d. Red.: Stand 2007) Namen vergessener Nazi-Opfer in die Bürgersteige Deutschlands und Europas einbetoniert hat. Sein Projekt wird von Neonazis bekämpft, Vertretern der Jüdischen Gemeinde abgelehnt und ist mancherorts sogar verboten. Doch hinter jedem „Stolperstein“ stehen engagierte Helfer und private Spenden. Dörte Frank begleitet einen rastlosen Künstler, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, ausgelöschte Biografien zurück in den Alltag zu bringen. Der Film führt uns zu Menschen, bei denen diese Minidenkmäler auf ganz unterschiedliche Weise einen Nerv treffen: Zwei Sinti-Angehörige in Österreich sehen darin ihren Großvater, in Hamburg polieren drei Frauen mühevoll „Stolpersteine“, um das schwierige Erbe ihrer SS-Väter zu verarbeiten. Ein Mann in England kämpft um Stolpersteine vor dem Haus seiner ermordeten Eltern in München und scheitert am Münchener Bürgermeister und an der Entscheidung des Zentralrats der Juden in Deutschland. Eine junge Ungarin will durch das Kunstprojekt ihre Landsleute zum Reden über eine verdrängte Vergangenheit bringen.

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Schwarzfahrer

(Deutschland 1992)
Regie & Buch Pepe Danquart | Kamera Ciro Cappellari | Schnitt Simone Breuer | Ton Ed Cantu | Mit Senta Moira, Paul Outlaw, Klaus Tilsner | Produktion Trans-Film, Medienwerkstatt Freiburg | Distribution Trans-Film

Die Situation kennt wohl jeder – in der U-Bahn, im Bus oder in der Kneipe wird jemand körperlich oder verbal attackiert und alle Umstehenden halten sich raus. Überraschend und außergewöhnlich reagiert allerdings der Schwarze in diesem Film, als er in der Straßenbahn von einer älteren Dame in diskriminierender Weise angemacht wird. Pepe Danquart, 1978 Mitbegründer der Medienwerkstatt Freiburg, gewann mit „Der Schwarzfahrer“ 1994 den Oscar für den besten Kurzfilm.