Notizen zum politischen Kino – die IWgR 21

Vom 15. bis zum 28. März beteiligte sich das FilmFest mit Notizen zum politischen Kino am vielfältigen Programm der Internationalen Wochen gegen Rassismus. Die #IWgR21 wurden durch die Stiftung gegen Rassismus koordiniert. Unter dem Motto „Solidarität. Grenzenlos.“ soll so ein Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung gesetzt werden.
Auf unseren Social-Media-Kanälen (Instagram, Twitter und Facebook) haben wir versucht gemeinsam die Perspektiven und Stimmen verschiedener Filmemacher*innen zu erkunden, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema beschäftigen. 

 

Wir hoffen mit unseren Notizen zum politischen Kino und der filmischen Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierung einen vielschichtigen Einblick in die Thematik gegeben zu haben. 

 

Eine Übersicht der Filme findet ihr bei Letterboxd in unserer #IWgR21-Liste, schaut vorbei! 

Die internationalen Wochen gegen Rassismus

Politisches Kino im Festivalarchiv

Da politisches Kino ein wichtiger Bestandteil des FilmFests ist, mussten wir nicht lange im Festival-Archiv suchen, um sehenswerte Beiträge zum Thema Rassismus und Diskriminierung zu finden.  

 

In „White Riot” wirft Rubika Shah einen Blick auf die Londoner Protestbewegung Rock Against Racism aus den 70ern; Patrick Lohse, Ole-Kristian Heyer und Marian Mayland erinnern in „Dunkelfeld” an den rassistisch motivierten Brandanschlag 1984 in Duisburg.Der zweite Anschlag” von Mala Reinhardt dokumentiert die bisher kaum beachtete Perspektive der Betroffenen rassistischer Gewalt in Deutschland und stellt sie in den Mittelpunkt. 

 

Exil, der Osnabrücker Verein für Geflüchtete e. V., zeigte den Film „Der zweite Anschlag” im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus mit einem anschließenden Filmgespräch mit den Filmemacher*innen Mala Reinhardt und Patrick Lose. 

 

 

Filmstill „Der zweite Anschlag”

Deutsche Produktionen

Rainer Fassbinders „Angst essen Seele auf“ zählt zu den Klassikern der deutschen Filmgeschichte – zu Recht. Denn obwohl der Film 1974 erschien, hat die Thematik nichts an Aktualität eingebüßt.   

Fassbinder erzählt eine zärtliche Liebesgeschichte zwischen der verwitweten Emmi und dem 20 Jahre jüngeren Marokkaner Ali. Nachdem die beiden heiraten wird es für das Paar immer schwieriger der Ablehnung und dem Fremdenhass ihrer Umgebung standzuhalten. 

 

Der Dokumentarfilm „Die Arier” von Mo Asumang aus dem Jahr 2014 lässt den Zuschauenden die Diskrepanz spüren die immer noch in unserer Gesellschaft besteht.  

Die afrodeutsche Regisseurin hinterfragt den Arier-Begriff in einem persönlichen Konfrontationskurs mit dem gegenwärtigen Rechtsextremismus. 

 

In „Gipsy Queen“ von Hüseyin Tabak versucht sich die alleinerziehende Mutter Ali, einst Boxerin und von ihrem Vater stolz „Roma-Königin“ genannt, wortwörtlich durch das Leben in Hamburg zu schlagen. Der Regisseur verdeutlicht die oftmals benachteiligte Situation, mit der sich Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland konfrontiert sehen. 

 

Im Dokumentarfilm „Gleis 11” lässt Regisseur Çağdaş Eren Yüksel die Gastarbeiter der 1. Generation zu Wort kommen, die bisher kaum Platz und Gehör in den deutschen Medien gefunden haben. 

 

P.S.: „Gipsy Queen” ist aktuell bei Netflix zu sehen. 

 

Filmstill „Angst essen Seele auf”

Rassistische Strukturen im Film: eine kritische Kontextualisierung von „The Birth of a Nation“ (1915)

Da wir unter anderem „The Birth of a Nation“ (1915) vorstellen möchten, bedarf es vorab aus folgenden Gründen einer kritischen Kontextualisierung des Films. 

 

David Wark Griffiths „The Birth of a Nation“ revolutionierte das Kino und gilt heute noch als ein Meilenstein der Filmgeschichte, jedoch ist der Film inhaltlich höchst problematisch. 

Von Beginn an wurde The Birth of a Nation” stark kritisiert. Eine Reaktion ist z.B. der 1920 erschienene Film Within Our Gates” von Oscar Micheaux, der gleichzeitig als der älteste Film eines afroamerikanischen Regisseurs gilt. 

The Birth of a Nation” spielt zur Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs und der nachfolgenden Reconstruction. Problematisch ist dabei die historische Inkorrektheit der Ereignisse, aber noch vielmehr die Anwendung rassistischer Stereotypen sowie Ideologien und die Verherrlichung des Ku-Klux-Klans. Tatsächlich trug der Film maßgeblich zur Neugründung des Ku-Klux-Klans bei.  

Schwarze werden karikativ als unterlegen und böse dargestellt. Alle PoC, die in dem Film eine größere Rolle haben, werden von weißen Schauspielern gespielt.  

Weiße Darsteller:innen, die eine schwarze Rolle spielen und dementsprechend geschminkt sind, bezeichnet man als Blackface/Blackfacing. Dabei handelt es sich um eine Praxis, die extrem rassistisch und diskriminierend ist.  

 

Auch in aktuelleren Filmen lassen sich rassistische und stereotype Strukturen erkennen. 

Neben Blackfacing” sind Whitewashing” sowie die Figur des White savior” leider keine Seltenheit im Filmgeschehen (z.B. bei To Kill a Mockingbird”, The Help”, Breakfast at Tiffanys”, Argo” …). 

 

Filmstill „The Birth of a Nation”

Amerikanische Klassiker

In „In the Heat of the Night” (1967) von Norman Jewison wird der afroamerikanische Virgil Tibbs zur Aufklärung eines Mordfalls in eine konservative Kleinstadt im amerikanischen Süden geschickt, die noch tief in rassistischen Vorurteilen steckt. Sidney Poitier, der den Ermittler Virgil spielt, gewann vier Jahre zuvor als erster afroamerikanischer Schauspieler einen Oscar.  

 

Die sozialistische Revolution feiert ihr 10-jähriges Jubiläum. Doch noch immer herrscht keine Gleichberechtigung von Frauen. Deshalb schließt sich eine feministische Frauenbewegung zusammen, um gegen die rassistischen und patriarchalen Strukturen anzugehen. Im Film „Born in Flames” von Lizzie Borden aus dem Jahr 1983 wird die Thematik aus einer feministischen Perspektive betrachtet.  

 

Ein Klassiker des New Queer Cinema ist „The Watermelon Woman” von Cheryl Dunye aus dem Jahr 1996, der zugleich der erste afroamerikanische LGBTQ+ Film ist. Die schwarze lesbische Filmemacherin Cheryl begibt sich für ihr Filmprojekt auf die Suche nach der Frau, die hinter der stereotypen Rolle der „Watermelon Woman” steckt.  

 

Filmstill „The Watermelon Woman”

Filme von afrikanischen Filmemacher:innen

Im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus möchten wir Euch insbesondere Filme von afrikanischen Filmemacher*innen vorstellen. Black Girl von Ousmane Sembène aus dem Jahr 1966 ist einer der ersten bekannten afrikanischen Langspielfilme. Diouana wird eingeladen in Frankreich als Gouvernante für eine wohlhabende, weiße Familie zu arbeiten. Ihre anfänglichen Hoffnungen verfliegen schnell, denn anstatt der erträumten Freiheit erwarten sie Demütigungen und Überforderung. In ihrer Freiheit und Würde beraubt bleibt Diouna nichts mehr, als ein letzter Versuch des Widerstands.  

 

Auch die Protagonisten von Djibril Diop MambétysTouki Bouki” (1973) werden von ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft geleitet. Der Traum von einer Reise nach Paris versinnbildlicht die Identitätssuche und Zukunftsfragen junger Menschen im Senegal.  

 

Die tansanisch-amerikanische Filmemacherin Ekwa Msangi verarbeitet in ihrem Film „Farewell Amor” (2020) persönliche Erfahrungen der Einwanderung. Einfühlsam erzählt die Regisseurin von dem Zusammentreffen einer angolanischen Familie nach 17 Jahren Trennung.  

 

Rungano Nyoni thematisiert in „I Am Not a Witch” (2017) die immer noch bestehende Praxis der Hexenverfolgung. Das neunjährige Waisenmädchen Shula wird der Hexerei bezichtigt und in ein Hexen-Camp geschickt. Der Film kritisiert nicht nur die menschenverachtende Tradition der Hexenverfolgung, sondern stellt zugleich ein surrealistisches Porträt des ländlichen Sambias dar.  

 

Übrigens: „I Am Not a Witch” und „Farewell Amor” sind auf der Streamingplattform Mubi zu sehen.  

„Farewell Amor” geht der Kurzfilm „Farewell Meu Amor” (2016) voraus, der ebenfalls bei Mubi verfügbar ist. 

 

Filmstill „La Noir de…” bzw. Internationaler Titel „Black Girl"

Afroamerikanische Filme

Jordan Peele nähert sich dem Thema Rassismus mit Get Out” (2017) aus einem ganz anderen Genre. In dem Horror-Thriller entwickelt sich das zunächst freundliche Kennenlernen zwischen dem afroamerikanischen Protagonisten und der Familie seiner weißen Freundin in einen Albtraum. Nach und nach nehmen rassistische Verhaltensweisen ein absurdes Ausmaß an. 

 

In der fünfteiligen Miniserie Small Axe” (2020) erzählt Steve McQueen die Erfahrungen der karibischen Community im London der späten 60er bis frühen 80er-Jahre.  

 

Berry Jenkins begleitet in seinem Oscar-prämierten Film Moonlight” (2016) den jungen schwulen Protagonisten Chiron auf der Suche nach seinem Platz im Leben 

 

Viele unserer Filmempfehlungen thematisieren die Bürgerrechtsbewegungen in den USA Mitte des 20. Jahrhunderts. 

So auch der Dokumentarfilm I am Not Your Negro” (2016) von Raoul Peck. Der Regisseur thematisiert die afroamerikanische Identität im Kontext der Bürgerrechtsbewegung und schließt die prägendsten Figuren der Bewegung (Malcom X, Martin Luther King, Medgar Evers) ein. Die Grundlage der Dokumentation bildet ein Manuskript des amerikanischen Schriftstellers James Baldwin. 

 

In Ava DuVernays Drama Selma” (2014) kämpft Martin Luther King für die Bürgerrechte der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA. Als bisher einziger Kino-Spielfilm beschreibt die Regisseurin mit dem Film ausführlich die Ereignisse in der Kleinstadt Selma, in der die Bürgerrechtsmärsche ihren Anfang nahmen und schließlich ein neues Wahlrecht hervorbrachten. 

 

BlacKkKlansman” (2018) von Spike Lee basiert auf den Erfahrungen des afroamerikanischen Polizisten Ron Stallworth. Im Film ermittelt der gleichnamige Protagonist als erster schwarzer Polizist in seiner Stadt verdeckt gegen den Ku-Klux-Klan.  

Häufig werden Rassismus und Diskriminierung hauptsächlich mit den USA in Verbindung gebracht. Rassismus ist unumstritten eine fest verankerte Thematik im angloamerikanischen Raum. Das zeigt sich auch in der heutigen, dieses Mal besonders umfangreichen, Filmauswahl. 

Dennoch sind Rassismus und Diskriminierung nicht als amerikanisches Problem zu verstehen, sondern vielmehr als allgegenwärtige Realität.  

 

P.S.: Mudbound”, When They See Us und If Beale Street Could Talk” gibt es zurzeit bei Netflix zu sehen. Selma” ist bei Amazon Prime Video verfügbar. 

 

Filmstill „Get Out”

Aktuelle Produktionen

Der älteste Film unserer Empfehlungen ist aus dem Jahr 1915. Auch heute, über 100 Jahre später, ist die Thematik nach wie vor in unserer Gesellschaft sowie im Film vertreten.  

 

Eine aktuelle Produktion ist Judas and the Black Messiah” (2021) von Shaka King. Der Regisseur konzentriert sich auf die Black-Panther-Bewegung und ihren Anführer, den Aktivisten Fred Hampton. Judas and the Black Messiah” hat bei den diesjährigen Oscars zwei Academy Awards gewonnen.  

 

Ebenfalls für einen Oscar nominiert war der Dokumentarfilm Time (2020) von Garrett Bradley. Sibil kämpft seit 21 Jahren für die Freilassung ihres Mannes Rob. Nachdem die beiden einen gemeinsamen Bankraub begangen hatten, wurde Rob zu 60 Jahren Haft verurteilt. Die Regisseurin Garrett Bradley begleitet Sibil und ihre 6 Kinder. Die Dokumentation wird mit persönlichen Videoaufnahmen verknüpft. 

 

Das Thema des Kurzfilms Deine Strasse(2020) von Güzin Kar, der auf der diesjährigen Berlinale lief, ist eine Straße im Industriegebiet von Bonn. Der Straßenname nimmt Bezug auf einen der schlimmsten rassistischen Anschläge der Nachkriegsgeschichte und stellt dabei die Umsetzung und Funktion öffentlicher Gedenkorte in Frage. 

 

P.S.: „Time” ist aktuell bei Prime Video verfügbar. 

 

Filmstill „Judas and the Black Messiah”