Regiestatement zu „Wir könnten genauso gut tot sein“

Das Hochhaus als Mikrokosmos ist für mich eine sehr vertraute Welt, die mich schon immer fasziniert hat.Geboren in einer Hochhaussiedlung am Rande Sankt Petersburgs bin ich mit meiner Familie als russisch-jüdische Kontingentflüchtlinge 1996 nach Deutschland immigriert. Meine Eltern wollten, dass ihre Kinder in einemsicheren Land aufwachsen, frei von einer korrupten Regierung, von mafiösen Strukturen, von Antisemitismus und damit vor allem frei von Angst.

 

Sobald ich mit sieben Jahren meinen Fuß auf deutschen Boden setzte, wollte ich dazugehören zu diesem Land voller weißer Gardinen und Fenstervasen, um die ich meine Mutter anbettelte, den Zäunen und grünen Hecken. Doch ganz gleich wie sehr ich versuchte, mich an die neuen Gesetzmäßigkeiten und Rituale anzupassen, um mit Haut und Haar deutsch zu werden –das Gefühl, fremd zu sein, hielt an. Es half nicht, dass wir in eine Hochhaussiedlung zogen, die trotz Parkanlage und schönem See „Ghetto“ genannt wurde.

 

Obwohl wir nun in einem Land lebten, das uns Sicherheit, Geborgenheit und eine neue Heimat geben sollte, wurde meineAngst größer. Die Angst, nicht dazuzugehören, ausgeschlossen und bedroht zu sein. Dieselbe Angst, vor der meine Eltern geflohen waren.

 

Gleichzeitig wurde ich auch mit der Angst der anderen konfrontiert, die sich, wie sich herausstellte, unheimlich vor uns, den Immigranten, fürchteten. In den gemütlichen bürgerlichen Heimen grassierte die kreative Sorge, dass Menschen, die gerade erst ins Land gekommen und ohne Einfluss waren, die warmen Wohlstandsnester in Gefahr bringen könnten.

 

Mit Absurdität, trockenemHumor und abgrundtiefer Tragik will ich mit WIR KÖNNTEN GENAUSO GUT TOT SEIN eine Geschichte über die Macht der Angst als sich selbst reproduzierendes System erzählen, das wie kein anderes Gefühl den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskurs diktiert und den Zusammenhalt der Gesellschaft zerrüttet.In einer verschobenen Realität ergründet der Film die Frage, welche Ventile sich Angst in einer Gemeinschaft sucht. Welche Grenzen dabei überschritten werden und wie sie die ganze Gemeinschaft verändern kann.

 

Natalia Sinelnikova